
Der stille Amerikaner – Graham Greene
Der stille Amerikaner. Während des Indochinakriegs Anfang der 50er Jahre verliebt sich der naive Amerikaner Pyle in Phoung, die Freundin des desillusionierten britischen Journalisten Fowler. Vor dem Hintergrund des grausamen Kriegs der Kolonialmächte entspinnt sich eine symbolträchtige Dreiecksbeziehung.

Ein gewagtes Werk
Der Roman von Graham Greene erschien 1955 und stieß seinerzeit viel auf Kritik. Die unterschwelligen Töne von Der stille Amerikaner lesen sich antiamerikanisch und tatsächlich schien Graham Greene, der die Einmischungspolitik der USA äußerst kritisch sah, an ebendieser mittels seines Buches Kritik zu üben.
Faszinierende Figuren
Dies gelingt ihm durch stilistische wie inhaltliche Kniffe:
Die Hauptfiguren sind so undurchsichtig wie unsympathisch. Dies bietet dem Leser zum einen eine differenzierte Beobachtungsrolle, erleichtert zum anderen aber auch beim genaueren Lesen die symbolische Bildsprache.
Was sich während der Lektüre von befremdlich bis hin zu ekelerregend-verstörend liest, ist eigentlich eine beeindruckende Metapher für das Thema des Buches. Fowler und Pyle feilschen um die junge Frau Phoung wie um ein besonders seltenes Kunstgemälde. Pyle agiert dabei wie jemand, der von Kunst keine Ahnung hat, aber in vielen Büchern von Kunst gelesen hat und es deshalb besitzen möchte. Fowler verhält sich wie jemand, dem Kunst herzlich egal ist, aber das Gemälde haben möchte, weil es sich in seinem Wohnzimmer so gut machen würde.
Phoung kommt so gut wie gar nicht zu Wort. Ihr Handeln und ihre Entscheidungen hängen immer gerade von dem ab, der die Oberhand hat.
Spannende Metaphern
Diese unangenehme „Dreiecksbeziehung“ stellt den Krieg dar, in dem sich die drei Protagonisten befinden. Fowler und Pyle sind die ausländischen Mächte, die Asien schamlos und rücksichtslos besetzen und um den Machterhalt buhlen. Fowler symbolisiert hierbei die alten Kolonialmächte und Pyle die sich grundlos einmischenden neuen Mächte (USA).
Phuong und ihre merkwürdig passive Haltung charakterisieren das vietnamesische Volk, das angesichts der Zerstörung seines Landes regelrecht mundtot dem Ringen um seine Existenz und seiner Zukunft zuschauen muss. Ihr Widerstand, der gelegentlich urplötzlich wie aus dem Nichts ausbricht, verwirrt und ernüchtert die beiden Männer auf dieselbe Weise, wie ihre egoistische Leidenschaft sie vorher noch entflammt hatte.
Und auch Phoungs Schwester spielt eine wenig ruhmreiche Rolle. Sie erinnert an einen Kunsthändler, der sein Gemälde an den möglichst besten Käufer bringen möchte. Hemmungslos preist sie ihre Schwester an und schiebt sie wie eine Schachfigur auf dem Schachbrett hin und her.
Lesenswert
Der stille Amerikaner ist durch eine geschickte Zeiteinteilung aufgebaut, die dem Leser hilft, die Zeit- und Handlungssprünge zu begreifen. Die Geschichte ist flüssig und spannend zu lesen. Die sprachlichen Stilmittel schwanken zwischen kurzer, knapper Journalistenformulierungen und poetischen Ausschweifungen.
Das Buch ist trotz der erschreckend kühlen Schilderung des Krieges und der Handlungen der Figuren absolut lesenswert. Die Entwicklung der Geschichte und ihrer Figuren sowie die Folgen ihrer Taten sind faszinierend-erschreckend, ebenso wie die Erkenntnis, welch grauenhafte Ereignisse bereits in der Geschichte dieser Menschheit schon geschehen sind.
Beitragsbild: Bild von Amber Clay auf Pixabay
* dieses Buch stelle ich auf Wunsch und Empfehlung eines Lesers vor 😊


2 Kommentare
Winfried J
Hallo Anna,
mit großem Interesse habe ich Deine Rezession dieses Buches gelesen. Deine Erläuterungen sind gut recherchiert und haben mir jetzt im Nachhinein ( es ist schon eine Weile her, seit ich den Roman gelesen habe ,) eine Erklärung gegeben, warum mich die Geschichte so unangenehm berührt hatte. Jetzt ist mir einiges klar geworden. Ein guter Grund den “ stillen Amerikaner“ nochmals zu lesen.
Bin gespannt auf die nächste Buchbesprechung 👍🤗🙋🏻
Sonnenbücher
Hallo,
danke für deine Rückmeldung! Das freut mich aber wirklich sehr zu lesen, dass dir meine Rezension auch nachträglich einige „Aha-Momente“ beschert hat 😃
Die Bezeichnung „unangenehm berührt“ trifft es sehr gut, genauso ging es mir beim Lesen.
Ganz viel Spaß beim weiteren Lesen wünsche ich dir 🍀