
Darf ich Bücher noch auf Deutsch lesen?
„Darf ich Bücher noch auf Deutsch lesen?“ Zum ersten Mal habe ich bewusst eine Clickbait-Überschrift gewählt und schaue jetzt mal, was passiert 😄
Das ist natürlich nur Spaß 😄
Vorab: Selbstverständlich dürfen Bücher so gelesen werden, wie es jedem Leser beliebt und von einer Rhetorik wie in der Überschrift halte ich nur sehr wenig.
Trotzdem wollte ich gerne meine Gedanken zu einem Thema teilen, weil es mich selbst öfter mal beschäftigt und mich das ein oder andere Mal auch schon sehr verunsichert hat
Meine Beobachtung
In letzter Zeit bin ich häufiger im Internet auf Diskussionen gestoßen, die sich um die Frage drehten, ob Bücher besser „im Original“ (in 99 % der Fälle ist hiermit Englisch gemeint) oder in der Übersetzung gelesen werden sollten. Gefühlt 85 % der Stimmen sprechen sich für das Original aus, wobei die Tonlage zwischen „Es interessiert mich einfach“ und „Original ist immer besser“ schwankt.
Nun ist es, wie bereits erwähnt, vollkommen egal, in welcher Sprache die Bücher gelesen werden und das sollte auch nicht das Thema sein. Jedoch ist mir beim Überfliegen dieser Kommentare immer wieder etwas aufgefallen.
Es scheint wohl eher verpönt zu sein, bei Büchern lieber zu Übersetzungen zu greifen; zuweilen wird dabei sogar von „peinlich“, mangelndem Respekt dem Autor gegenüber oder mangelnder Intelligenz des Lesers gesprochen. Ich habe tatsächlich sogar einen Kommentar gelesen, der ernsthaft die Auffassung vertrat, wer lieber auf Deutsch statt auf Englisch liest, sei „dümmlich“ und gar ein „Loser“. (Leider finde ich diesen Kommentar nicht mehr. Ich kann mich aber noch an die Formulierung „Loser, die nicht auf Englisch lesen können“ erinnern).
Vielleicht habe ich mich einfach in den falschen Foren „umgelesen“, dennoch habe ich mir über dies so meine Gedanken gemacht. Ist es peinlich, lieber auf Deutsch zu lesen? Ist es sogar dümmlich?
Wie kommen Menschen zu der Auffassung, in der eigenen Muttersprache zu lesen, zeuge von Dummheit? Noch dazu, wenn die Muttersprache eine solch komplexe ist, wie es die deutsche Sprache nun mal ist?
Meine Erfahrung
Zweifelsohne ist Englisch eine Weltsprache und ebenso zweifelsohne kann man sich beispielsweise im Urlaub damit leichter verständigen. Rein oberflächlich betrachtet ist diese Sprache auch leichter zu erlernen als, zum Beispiel, Französisch.
Rein oberflächlich betrachtet, denn wenn ich mich an dieser Stelle mal outen darf, ich finde Englisch nicht unbedingt so leicht. Ich tue mich schwer mit der Grammatik, ich vergesse immer wieder die Bedeutung unzähliger Wörter und englische Videos schaue ich nur sehr ungern, da ich trotz großer Bemühungen nur einen Bruchteil verstehe. Dennoch hatte ich im Fachabi eine Eins. Wie passt das also zusammen?
Vielleicht, weil Menschen unterschiedlich lernen und unterschiedlich gestrickt sind. Ich kann englische Texte besser lesen und schreiben als englische Videos schauen, weil ich dabei mehr Zeit habe und mich besser konzentrieren kann. Zudem hatte ich jahrelang nur Französisch in der Schule und mir für das Fachabi extra Englisch angeeignet. Während der Schulzeit habe ich mich sehr viel mit Englisch befasst, weil ich gerne gute Leistungen erzielen wollte. Danach wurde Englisch für mich persönlich nicht mehr so wichtig.
Ich liebe die deutsche Sprache und war schon immer gut in Deutsch – zudem ist es meine Muttersprache. Also natürlich greife ich lieber zu einem deutschen Werk, weil es mich weniger anstrengt, ich nicht über die Übersetzung jedes fünften Wortes nachdenken muss und es, gerade wenn ich mich entspannen möchte, für mich angenehmer zu lesen ist.
Es ist meiner Meinung nach also überhaupt nichts Verwerfliches, wenn ich ein Buch, das Original auf Englisch erschien, lieber in einer deutschen Übersetzung lese. Zudem finde ich die deutsche Sprache auch gar nicht mal so unkompliziert, wie ich oben schon schrieb. Mit dümmlich hat das also meiner Meinung nach nichts zu tun.
Immer mehr Englisch
Dennoch habe ich den Eindruck, dass dieses Denken immer mehr in unserer Gesellschaft Einzug erhält.
Immer häufiger stößt man im Alltag auf englische Begriffe. Da wird aus gemütlicher Atmosphäre schnell cozy vibe, literally wird buchstäblich für alles Mögliche eingesetzt, immer wieder höre ich, dass jemand etwas relaten muss und was soll eigentlich low-key bedeuten? Und als sei das Thema nicht schon komplex und anspruchsvoll genug, wird aus kultureller Aneignung cultural appropriation. Besonders bei Letzterem handelt es sich um ein Wort, bei dem ich mir fast schon einen Knoten in die Zunge spreche (ähnlich wie bei through – wer kann sich erinnern? 😄)
Einige Male habe ich in deutschen Städten vor Restaurants den coronabedingten Hinweis gelesen, man möge bitte vor dem Restaurant warten, bis man aufgerufen wird. Allerdings nur auf Englisch, ohne weitere Übersetzung. Das jedoch in Städten (und das soll jetzt nicht böse klingen), die nicht Berlin oder München waren, also nicht so häufig von Gästen aus anderen Ländern besucht werden.
Und immer öfter höre ich, wie cringe sich die englische Aussprache mancher Menschen anhört. Und dann erst der deutsche Akzent!
Menschen sind verschieden
Englisch scheint in unseren alltäglichen Sprachgebrauch immer mehr integriert zu werden und grundsätzlich habe ich damit kein Problem. Ganz im Gegenteil, sprachliche Vielfalt finde ich wundervoll und ich wünsche mir, ich könnte neben meiner Muttersprache noch weitere Sprachen sprechen. Ich bewundere polyglotte Menschen und ja, ich wünsche mir, ich hätte bessere Französisch- und Englischkenntnisse. Ich finde es jedoch schwierig, anzunehmen, dass alle an dieser sprachlichen Entwicklung teilnehmen können.
Es gibt Menschen, die einfach ein beeindruckendes Sprachtalent haben, Menschen, die seit der fünften Klasse Englisch lernen und/oder Menschen, die die englische Sprache einfach lieben und sich privat auch unheimlich gerne mit ihr befassen.
Es gibt aber auch Menschen, die nicht so sprachbegabt sind, Menschen, die Englisch nicht in der Schule hatten, Menschen mit einer Lernbehinderung oder – auch das gibt es – Menschen, die die englische Sprache einfach nicht so mögen. Ich persönlich mag Französisch lieber und finde, Italienisch hat überhaupt den allerschönsten Klang.
Menschen sind eben verschieden und haben unterschiedliche Interessen, Talente und Vorlieben. Was dem einen leicht fällt, muss dem anderen nicht automatisch ebenso leicht fallen. Und wenn der eine eben ein Buch lieber auf Englisch liest, mag der andere es womöglich lieber auf Deutsch lesen. Daran ist aber nichts peinlich oder gar dümmlich.
Peinlich finde ich eher, anderen Menschen zu erzählen, sie wären peinlich. Persönliche Vorlieben und Talente haben nichts mit peinlich zu tun. Und mit dümmlich noch viel weniger.
Würde man einem Menschen, der nicht gut in Mathematik ist, erzählen, er sei peinlich oder dümmlich? Wohl kaum.
Und wenn ich mal bei der „Nur im Original kommen Bücher wirklich rüber“-Ausgabe bleibe, gilt das auch für nicht-englische Sprachen? Demnach „dürfte“ man bspw. portugiesische oder japanische Texte auch nur im Original lesen. Oder ist das dann noch mal was anderes? 😄
(Selbstverständlich möchte ich an dieser Stelle nicht ungeachtet lassen, dass es bestimmte Wortspiele, Sprüche etc. gibt, die nicht leicht zu übersetzen sind. Diese „funktionieren“ dann im Original tatsächlich besser)
Außerdem: Die so gerne mal verpönte Übersetzungsarbeit ist auch nicht immer automatisch schlecht. Es gibt wunderbare Literaturübersetzer, die großartige Arbeit leisten und Synchronsprecher, die einfach angenehme Stimmen haben. Ich persönlich mag zum Beispiel die Stimmen von Maria Koschny (u.a. Jennifer Lawrence und Kristen Bell) und Andreas Fröhlich (u.a. Edward Norton und John Cusack, außerdem Bob Andrews von Die drei ???) sehr gerne und freue mich immer, wenn ich sie in einem Film oder einer Serie höre. Oder in einem Hörspiel 😄
Das hat jetzt zwar nur bedingt etwas mit dem Thema zu tun, ich wollte es aber trotzdem gerne mal anmerken 😄
Abschlussplädoyer
Was ich mit diesem Text sagen möchte: Ich habe keinerlei Probleme mit der Verwendung anderer Sprachen. Wie ich oben auch schon schrieb, finde ich dies sogar sehr bereichernd und spannend.
Ich finde es nur schwierig, wenn angenommen wird, dass alle an der Anglisierung der deutschen Sprache, die über cool, Internet oder Hobby hinausgeht, teilnehmen können. Und ich finde es schade, dass manche Menschen der Auffassung sind, die Lektüre einer deutschen Ausgabe sei weniger „wert“ als ein englisches Leseerlebnis. Und besonders erschreckend fand ich die Wörter „dümmlich“ und „Loser“ in diesem Zusammenhang. Deshalb habe ich mich auch dazu entschlossen, diesen Text zu schreiben.
Es ist nämlich meiner Meinung nach vollkommen egal, in welcher Sprache man bevorzugt liest. Es ist auch vollkommen egal, wie gut man das eine oder das andere beherrscht.
Aber andere Menschen zu belächeln, bloß weil sie nicht die gleichen Stärken oder Vorlieben teilen, sollte nicht egal sein. Das ist nämlich einfach nur gemein.
Mehr Freundlichkeit und Verständnis untereinander 😊
Beitragsbild von Susanne Jutzeler, Schweiz, auf Pixabay
Bild von Gordon Johnson auf Pixabay


5 Kommentare
Winfried
Liebe Anna, 😊❤
Zunächst musste ich mal nachschlagen, was eine „Clickbait-Überschrift“ ist 😉😂😂😂
Vielen Dank für Deine interessanten Gedanken zu einem Thema, welches mich auch schon länger beschäftigt.
Kleiner Exkurs : 😉
Eigentlich schon seit meiner Jugend 😉! Also ein uraltes Thema 😅 In den 70er oder 80er Jahren war man cool, knorke, freaky, oder groovy.
Cool oder der/die „Oberchecker“ war, der die englischen Texte von Musikern wie Bob Dylan und vielen anderen scheinbar mühelos verstand. Schnell war man da ein „Outsider“ und wurde belächelt.
Zunächst einmal ist es daher sehr wichtig, den Mut zu haben, gegen den “ Mainstream“ 😉 zu schwimmen. Ein wichtiger Beitrag. Er regt zum Nachdenken über das Miteinander , unserer Gesellschaft und Kultur an. Deine Gedanken erinnern mich ein wenig an das Märchen „Des Kaisers neue Kleider“. Wir brauchen halt manchmal ein kleines Kind ( nicht persönlich nehmen 😉❤), welches ruft: Er hat doch gar nichts an!
Damit will ich sagen, dass es wichtig ist, sich ab und zu auch zu reflektieren. Wie sehe ich meine Mitmenschen und lasse ich Ihnen Raum eine eigene Meinung zu haben, auch wenn sie nicht mit meiner Einstellung konform geht. Nicht über die andere Meinung oder das scheinbare Nichtwissen lächeln, sondern aufeinander zugehen und voneinander lernen.
Die Welt hat sich in den letzten Jahrzehnten in einer unglaublichen Geschwindigkeit entwickelt. Nicht immer zum Guten. Globalisierung, Internet, Smartphone, Veränderung auf vielen gesellschaftlichen, politischen und religiösen Gebieten und man muss aufpassen, Teile der Gesellschaft nicht zu verlieren. Die Verunsicherung ist groß und viele laufen einfach so mit, ohne kritisch zu sein.
Diese Woche habe ich zwei Artikel gelesen, welche ich selbst kaum noch verstanden habe, obwohl die Themen mich sehr interessierten. Beide Artikel waren voll von englischen Begriffen und sehr mühsam zu lesen.
Das kann eine bedenkliche Entwicklung haben. Das Erstarken der Radikalen, Autokraten und Fanatikern in den letzten Jahren zeigen eine bedenkliche Tendenz.
„Abgehängte und belächelte“ Menschen wenden sich gerne diesen Verführern zu, da sie diese Welt nicht mehr verstehen.
Sicherlich ist englisch immer „noch“ die Weltsprache Nr.1. und somit ein wichtiges Instrument des weltweiten Miteinander. Die eigene Sprache ist aber genauso wichtig, bereitet ein Stück Heimat und damit auch Geborgenheit.
Deutsch ist eine schwere, aber auch wunderbare Sprache. Viele Werke unserer Geschichte und Kultur beweisen dies. Daran ändern auch die 12 Jahre der Nazi- Diktatur in Deutschland nichts.
Lassen wir die deutsche Sprache also gleichberechtigt neben allen andern Weltsprachen stehen.
Weiter so, Anna ❤
Sei ruhig öfter mal wie das Kind im Märchen und mache uns auf Missstände aufmerksam.
Für die Leser von Anna`s Block wünsche ich noch persönlich : Nur Mut zum kommentieren. Macht Spaß und man kann sich prima seine eigene Gedanken machen ( wenn auch manchmal ausschweifend, ich weiß 😉😂😂😂 )
Winfried
Sonnenbücher
Hallo und vielen lieben Dank für deinen ausführlichen Kommentar, für den du dir bestimmt viel Zeit nehmen musstest! 😊
Es freut mich, wenn ich anregen und sogar aus der Seele sprechen kann! Bestimmte Bewegungen und Phänomen sind wohl wahrlich so alt wie die Menschheit und manche Dinge ändern sich nie. Gleichzeitig ist die Welt stets im Wandel, was ich sehr gut finde.
Jedoch dürfen darüber hinaus gewisse Gesellschaftsschichten nicht vergessen werden, denn wie schon schrieb, nicht jeder kann an dieser sprachlichen Entwicklung teilnehmen. Zudem ist es furchtbar schade, wenn die Besonderheit der deutschen Sprache darüber vergessen wird.
Sprachliche Vielfalt finde ich toll, aber es darf nicht dazu führen, dass Menschen dabei ausgeschlossen, belächelt oder gar als „Loser“ bezeichnet werden. Umgekehrt dürfen Menschen genauso wenig ausgeschlossen oder angefeindet werden, wenn sie nicht gut Deutsch sprechen.
Deshalb ist es für mich auch wichtig, darüber zu schreiben 😊
Nochmals vielen Dank für deinen Kommentar! Ich freue mich sehr, mit dir in den Austausch treten zu können 😊
Monika
Liebe Anna,
vielen Dank für deinen tollen Beitrag.
Ich habe dir hierzu eine Mail geschrieben.
Herzliche Grüße
Sonnenbücher
Hallo und vielen Dank für deine tolle Rückmeldung!
Die werde ich mir gleich mal durchlesen 😊
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