altes land
Bücher,  Zeitgenössische Literatur

Altes Land – Dörte Hansen

Seit ihrem fünften Lebensjahr lebt Vera, Flüchtlingskind aus Ostpreußen, in einem Bauernhaus im Alten Land. Ganz heimisch wurde sie nie und doch lässt der Ort sie nicht los. Und sie nicht ihn. Sechzig Jahre später steht plötzlich ihre Nichte Anne mit Sohn Leon vor der Tür. Vera und Anne sind sich zunächst fremd, doch verbindet sie beide mehr, als sie ahnen.
Altes Land ist der Debütroman von Dörte Hansen aus dem Jahre 2015 und ist mit dem Begriff Heimatroman am besten beschrieben.

„Vera Eckhoff wusste nicht viel von ihrer Nichte, aber sie erkannte einen Flüchtling, wenn sie einen sah“.
Seite 95

Heimat

Heimat ist das große Thema und es geht nicht in erster Linie um die Liebe zu dieser.

Viel dreht sich um Heimatvertriebene, so wie Vera, und um Heimkehrer aus dem Krieg, deren erlebte Schrecken nicht durch die Stille der Heimat vertrieben werden können.

Aber es geht auch um Heimatvertriebene, die aus weniger grausamen, aber nicht minder schmerzhaften Gründen Zuflucht im Alten Land suchen.

Schmerz

Anne ist mit Leon aus dem feinen Hamburg geflohen. Ihr Mann liebt eine andere, die nun auch schwanger von ihm ist. Anne ist wütend und verletzt und kann es doch nicht zeigen. Es fällt ihr schwer, sich einzuleben, im Gegensatz zu Leon und zu Kaninchen Willy, das im ländlichen Leben ganz neue Seiten an sich entdeckt.

„Sie verstießen gegen kein Gesetz.
Aber Anne, die ihren Mann verloren hatte und nicht um ihn trauern konnte, weil Christoph ja gesund und munter war, weil er immer für sie und Leon da sein würde, Anne, die sich jetzt entlieben sollte und sich verwitwet fühlte, verwundet und verarscht, machte sich strafbar, wenn sie Carola einen Zahn ausschlug oder den weißen Fiat demolierte. Und schlimmer als das: Sie machte sich lächerlich.“
Seite 101 ff

Aber nicht nur die gescheiterte Beziehung war ein Grund, warum sie der Hamburger Schickeria den Rücken kehrte, auch die Hamburger Schickeria selbst schlug sie in die Flucht.

Stadt- oder Landmensch?

Der Roman persifliert auf wunderbare Weise zum einen die feine Hamburger Gesellschaft, dargestellt zum Beispiel in einer völlig überdrehten Darstellung einer Helikoptermutter oder in einem Journalisten. Letzterer verkörpert Großstädter, die das Idyll des Landlebens verklären, die Alteingesessene für ihre Einfachheit belächeln, sich mit ihrer Unwissenheit zum Narren machen und letztendlich kläglich scheitern.

„Er hatte keine Lust mehr, über diese Menschen nachzudenken, Artikel oder Bücher über sie zu schreiben, sie waren auserzählt, er war es leid, er konnte nicht mehr, er musste weiter, er war herausgewachsen aus der Gummistiefelwelt.
Er war auch mit dem Journalismus durch“.
Seite 278

Es gibt zahlreiche Figuren in diesem Roman und irgendwie haben sie alle etwas gemeinsam: Sie sind verloren und auf der Suche nach etwas, was sich wohl jeder wünscht, nach Heimat.

Hommage an die Sehnsucht

Zuweilen geht es auch um alte Traditionen und Träume und wie diese verloren gehen und dann plötzlich blitzt zwischen den Zeilen wieder Hoffnung und Zuversicht auf. Manchmal ist der Roman eine wunderschöne Hommage an das Regionale, manchmal glaubt man, das Meer rauschen zu hören und Wind über hohe Grasfelder wehen zu sehen. Und dann wiederum ist da plötzlich diese Traurigkeit und die beschriebene Kälte des Bauernhauses scheint einen selbst zu ergreifen.

All dies verwebt Dörte Hansen zu einem angenehm ruhigen und schlichten Roman, der in einer klaren und natürlichen Sprache einhergeht und gelegentlich mit amüsanten satirischen Spitzen aufwartet.

Altes Land regt zum Nachdenken über die eigene Zugehörigkeit und Heimat an und bietet zugleich einen Ort der Zuflucht. Und sollte die Kälte einen zu stark im Griff haben, dann erinnert man sich des Bauernhauses, das die Zeit überdauert. Und das hat etwas Tröstliches.

„Zwei Türen blieben angelehnt in ihrem Haus, zwei Menschen schliefen, eine alte Frau, ein kleiner Junge. Ein Mensch blieb wach und hütete die Träume.
Das Haus stand still“.
Seite 287

sonnenbücher

Altes Land von Dörte Hansen erschien 2015 in der Verlagsgruppe Random House und kostet in der Taschenbuchausgabe 12,00€ und in der gebundenen Ausgabe 24,00€.

Beitragsbild: Bente Jønsson auf Pixabay

2 Kommentare

  • Monika

    Liebe Anna,
    es liegen zwar schon ein paar Jahre zurück, als ich „Altes Land“ gelesen habe. Aber deine Rezension ließ nochmal meine Gedanken und Gefühle, die ich damals beim Lesen hatte, aufleben.
    Mir gefiel einerseits die Darstellung des Landlebens, die wohlige Gefühle aufkommen lässt. Dabei fehlte aber auch nicht der kritische und realistische Blick auf ebenjenes Leben, das der Städter schon einmal gerne unberücksichtigt lässt.
    Deine Rezension lädt mich zum erneuten Lesen des Buches ein.
    Vielen Dank dafür.
    Ganz liebe Grüße
    Monika

    • Sonnenbücher

      Hallo Monika, vielen Dank für deinen Kommentar!
      Ich freue mich sehr, dass meine Rezension bestimmte Emotionen, die du mit dem Buch verbinden konntest, wieder aufleben konnte!
      Genau diese Punkte haben mir auch sehr gut gefallen, das Buch hat insgesamt einen „realistischen“ Eindruck hinterlassen 😊
      Ganz liebe Grüße
      Anna ☀️

Eine Antwort schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert