Gedanken

Ottfried Preußler, die Sache mit der Schuld und meine Meinung dazu

Neulich hat ein Gymnasium in Bayern von sich reden gemacht. Die Ottfried-Preußler-Schule in Pullach möchte sich umbenennen und nicht mehr nach dem Schriftsteller heißen. Der Grund: Ottfried Preußler war in seiner Jugend Mitglied in der Hitlerjugend, später sogar Mitglied in der NSDAP und hat darüber hinaus auch noch drei Werke über diese Zeit geschrieben.

Das war nicht unbekannt, wenn auch nicht ein Umstand, der einem beim Namen Ottfried Preußler als erstes in den Sinn gekommen wäre. Zudem ist die Angelegenheit in Anbetracht verschiedener Umstände auch komplizierter, als es auf den ersten Blick scheint (da ich leider keine Historikerin bin, empfehle ich, sich über die geschichtlichen Aspekte z.B. hier näher zu informieren).

Was das Problem ist

Im Grunde würde es mich wenig interessieren, wenn sich irgendeine Schule oder sonst ein Institut aus irgendwelchen Gründen umbenennen möchte, denn schließlich darf jede Einrichtung so heißen, wie diese es für richtig hält.
Jedoch hat mich ein bestimmter Umstand dazu verleitet, länger über diese Angelegenheit nachzudenken (und ja, vielleicht auch die Tatsache, dass es sich um den Autor meines Lieblingskinderbuchs handelt: Die kleine Hexe).
Der Beweggrund der Schule lautet nämlich nicht allein, dass Ottfried Preußler seine Jugend in NS-Organisationen verbracht hat, sondern, dass er seine Schuld nie eingeräumt und sich nie von seinen Werken distanziert hat.*

Aber ist es so einfach?

Das mag sein und darf diskutiert werden, jedoch vermisse ich zwischen all diesen Vorwürfen ein wenig mehr Weitsicht. Ottfried Preußler ist Jahrgang 1923 und entstammt einer Generation, die über solche Dinge nicht gesprochen hat. Die Gründe sind vielfältig: Angst, Scham, Wut, Trauer und ganz besonders Trauma dürften wohl die vorherrschenden sein.
Besonders über Traumata wurde nicht gesprochen, ja, es wurde in den seltensten Fällen in Erwägung gezogen, dass ein Trauma vorliegen könnte.
Die Kriegsgeneration hatte nicht die Möglichkeit, sich in Therapie zu begeben, es gab keine Online-Hilfen, keine dramatischen Instagram-Entschuldigungs-Videos, keine fancy englischen Hashtags, mit der das eigene Trauma medienwirksam verbreitet werden konnte.**
Die Erfahrungen des Nationalsozialismus wurden einfach totgeschwiegen und wer tatsächlich über Trauma und Schuld gesprochen hat, dürfte eher die Ausnahme gewesen sein.

Geschichte

Ihm vorzuwerfen, sich nicht distanziert, sondern lieber geschwiegen zu haben, finde ich unglaublich arrogant, anmaßend und oberflächlich.

Aus unserer heutigen Sicht ist es schwer nachvollziehbar, dass jemand bei dem Gedanken an seine HJ-Zeit nicht sofort zu Kreuze kriecht oder gar mit einem leisen Lächeln an diese Zeit zurückdenkt.
Überhaupt ist es schwer vorstellbar, dass „damals alle auf Hitler gehört haben“ und niemand „was gemacht hat“.

In einer Zeit, in der so viele Menschen (zum Glück!) gegen Rechts auf die Straße gehen und unsere Demokratie verteidigen, wirken solche Aussagen ebenso arrogant und wenig durchdacht.

Dass die Menschen in den dreißiger Jahren nicht auf die Straße gingen, ja, nicht gehen konnten, sollte jedem, der sich auch nur ansatzweise mit den dreißiger/vierziger Jahren beschäftigt hat, klar sein.

Den jungen Menschen, die auf den „Nie wieder ist jetzt“-Demos Schilder hochhalten, auf denen „Jetzt wissen wir, was wir an Stelle unserer Großeltern getan hätten“ steht, und die noch vor einigen Wochen „Free Palestine“ brüllten, ohne zu merken, dass sie auf eine Propagandamaschinerie reinfallen, möchte ich gerne entgegenhalten: So ähnlich war es auch 1933 (und es war nicht allein Hitler, sondern ein ganzer Regierungsapparat).

Zum Thema KI

Und mal angenommen, nur mal angenommen, in einigen Jahren entpuppen sich unsere heutige Technik, soziale Medien und künstliche Intelligenz als Geißeln der Menschheit (oder sind sie es gar bereits?), was werden wir wohl unseren Kindern antworten, wenn diese uns irgendwann fragen, warum wir denn so blind diesen sozialen Medien gefolgt sind?
„Es hat einfach Spaß gemacht“? „Das haben halt alle so gemacht“? Oder gar: „Das war halt einfach damals das Ding“?

Zum Schluss noch etwas zur Kultur

Den Blick auf unsere Geschichte stets kritisch gerichtet zu halten, ist nie verkehrt und besonders unsere NS-Vergangenheit, auch in Hinblick auf unsere Kulturgeschichte, sollte immer wieder diskutiert werden.
Wenn solche Diskussionen aber dazu führen, dass Kulturgut „ausgelöscht“ wird, wird meiner Meinung nach das Ziel verfehlt.

Das Ziel sollte nicht sein, Bücher, Filme, Musik oder anderes aufgrund (vermeintlichem) Fehlverhalten seiner Schöpfer zu „canceln“, sondern sie in genau diesem Licht zu betrachten.
Die NS-Vergangenheit gehört zu Deutschland ebenso wie Bücher wie Die kleine Hexe und beides anzunehmen, gehört zu Geschichtsaufarbeitung dazu.

Und was ist mit Krabat?

Und wenn wir bei Geschichtsaufarbeitung sind: Krabat erzählt von Verführung und Manipulation und von dem mitunter sehr schwierigen Weg, sich daraus zu befreien.

Natürlich ist es vermessen, Preußlers Absichten zu analysieren und unserem Weltbild entsprechend auszulegen, wir können ihn auch leider nicht mehr fragen, wieso und mit welchen Gedanken er Krabat schrieb.
Aber wer das Buch gelesen hat (und es zu lesen lohnt sich!), dem könnte sich der Verdacht aufdrängen, Ottfried Preußler habe mit „Krabat“ seine HJ-Jugend aufgearbeitet.

Aber wie gesagt, es ist vermessen, seine Absichten zu okkupieren. Und das gilt nicht nur für seine Werke, sondern auch für sein Handeln während seiner Jugend.

* Was er indirekt jedoch bei Erscheinen seines Werkes Krabat doch getan hat: „Mein Krabat ist […] meine Geschichte, die Geschichte meiner Generation und die aller jungen Leute, die mit der Macht und ihren Verlockungen in Berührung kommen und sich darin verstricken.“).

** Bitte nicht persönlich nehmen oder falsch verstehen! Ich finde es gut, wenn über psychische Belastungen gesprochen wird. Jedoch beobachte ich seit einiger Zeit gerade in den sozialen Medien eine merkwürdige Kommerzialisierung psychischer Erkrankungen und einen inflationären Gebrauch von Krankheitsbegriffen, was ich eher bedenklich finde.

Bild von Bohdan Chreptak auf Pixabay

Beitragsbild von Gerd Altmann auf Pixabay

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